Nun ist es mir wieder passiert. Ich besuche einen der beliebten Stammtische und freue mich auf tolle Gespräche und einen informativen Vortrag. Ein gemütliches Zusammensein von Gleichgesinnten. Nichts Böses ahnend höre ich einem Vortrag über Bewegung, Frieden, schöne Wirtschaft, persönliches Wachstum, soziales Engagement, Finanzen und Zeit im Einklang zu. Es scheint um irgend etwas wie Coaching zu gehen. Aber nach den ersten Sätzen über internationalen Erfolg und eine wunderbare Organisation werden schon erste Wunderdinge versprochen. Fragen werden nicht zugelassen und direkte Fragen sollen auch später nicht beantwortet werden. Da keimt natürlich mit steigendem Nebel der Verdacht auf. Und tatsächlich. Ein beworbenes Wunderprodukt taucht erst spät auf und kann nicht wirklich erklärt werden.
Eigentlich kennt man es ja. Unter Freunden und Verwandten fragt jemand schon einmal, ob irgendwer etwas braucht, was er gerade über hat. Bei dem freundlichen Weiterreichen von Dingen schöpft niemand Verdacht. Aber nun taucht immer öfter wie ein Gespenst unter Freunden, in der Familie und besonders auf sozialen Plattformen diese perfide Form von Marketing auf: das sogenannte Netzwerk-Marketing.
Die bekannte Umgebung unter Gleichgesinnten und Freunden bildet ein kleines Netzwerk des Vertrauens. Aber gerade diese kleinen privaten Netzwerke werden so immer mehr missbraucht. Augenscheinlich eignet sich diese Art von Marketing für Wundermittel, Spezialkosmetik, tolles Plastik, Supergeräte, Schnäppchen-Versicherungen und sogar für Sekten oder illegale Drogen. Dinge, die vermutlich niemand wohl überlegt in irgend einem Geschäft kaufen würde.
Das eigentliche Ziel beim Ausnutzen dieser privaten Netzwerke bleibt allerdings oft lange verborgen. Möglichst viele Leute sollen sich an diesem Marketing beteiligen. Denn jeder Angeworbene bringt ein wenig Nachlass, Bonus oder Prämie für den Werber – gestaffelt nach der Anzahl der Angeworbenen und nach der Zahl der durch die Angeworbenen Angeworbene. Manch Marketingwerber bezeichnet dies als “passives Einkommen”. Allerdings können oder wollen die wenigsten Werber dies Bonussystem erläutern.
Und gerade darin liegt der wirklich große Haken.
Dieses Marketingkonzept funktioniert nach dem Schema eines auf dem
Kopf stehenden Baumes. Jeder Teilnehmer muss einmalig oder
ständig Geld investieren. Etwas wiederbekommen tun nur
Teilnehmer, die viele weitere angeworbene Teilnehmer unter sich
haben. Aber die jeweils untersten Teilnehmer zahlen nur und
bekommen gar nichts. Und die sind der bei weitem
überwiegende Teil jedes Baums. Wenn jeder 2 neue
anwirbt, sind die Gelackmeierten 2/3 von allen. Wenn jeder 5 anwirbt,
bekommen schon 5/6 aller Teilnehmer gar nichts wieder. Manchmal
bekommen Teilnehmer sogar erst Zuwendungen ab der dritt-untersten
Stufe.
Viele Menschen durchschauen so etwas wie Bäume nicht. Und Teilnehmer glauben oft, sie werden schon irgendwelche Abnehmer finden, da es ja unendlich viele Menschen gibt. Aber die Freunde und Bekannte hat ja schon der Werber abgegrast.
Aus diesen Gründen der Undurchschaubarkeit ist Netzwerk-Marketing, bei dem es ausschließlich um Geld (Schneeballsystem) geht, gesetzlich verboten. Wenn allerdings neben dem Geld auch Waren oder Dienstleistungen einen Anteil haben, dann ist es (noch) nicht verboten.
Und was passiert eigentlich mit den Beteiligten? Werber werden gleich mehrfach bestraft. Sie werden irgendwann als Ausnutzer erkannt und Freunde und Bekannte wollen nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Statt zur sozialen Integration führt das zur Isolation. Und dazu ist in der Regel ein großer finanzieller Verlust dabei. Alle Investitionen sind futsch.
Ich kenne inzwischen viele, die schon mindestens einmal die negativen Folgen vom Netzwerk-Marketing kennengelernt haben.